Die Dating-Geschichte von zwei schwulen Männern

Jonas glaubte immer, dass die meisten Dinge im Leben durch Wiederholung entstehen. Dass Nähe aus Routine entsteht, aus Gesten, die sich wiederholen, aus Worten, die man mehr als einmal sagt. Er war nie ein Freund der großen, spontanen Gesten gewesen. Er war der Mann, der morgens sein Kaffeewasser auf genau 92 Grad erhitzte, der wusste, welche Schraube in welcher Schublade lag, der bei Spaziergängen am liebsten die ruhigeren Straßen nahm. Und trotzdem war da irgendwo tief in ihm ein leiser Wunsch nach einer Begegnung, die sich nicht erklären musste, weil sie sich einfach richtig anfühlte. Nicht laut, nicht abrupt. Einfach nur richtig.
Die Nachricht kam an einem Mittwochmorgen. Eine zufällige Nachricht, ein Smiley, mehr war es nicht. Ein kleines gelbes Gesicht, das lachen sollte, eigentlich für eine Freundin gedacht, aber irgendwie rutschte es zur falschen Nummer. Zu jemandem, den Jonas einmal gesehen hatte, als er an einem verschneiten Abend vor einem Späti stand. Da war dieser Kater gewesen, der wie ein König über die Ladentheke geblickt hatte, und Jonas hatte ein Foto von ihm gemacht. Der Verkäufer, Luis, hatte darum gebeten, es geschickt zu bekommen, und Jonas hatte seine Nummer gespeichert. Und vergessen. Bis jetzt.
Luis antwortete schnell.
„Ich wusste nicht, dass ich heute schon gelobt werde. Danke für das Lächeln.“
Jonas las die Nachricht zweimal. Es war nichts Besonderes daran. Aber es fühlte sich gut an. Ehrlich. Warm. Er schrieb zurück, erklärte den Mantel in der U-Bahn, die falsche Zielperson, und dass er gerade in einem überfüllten Wagon mit einer Frau steckte, die ihren Schal benutzte, als würde er ihr persönlicher Ruheraum sein. Luis lachte darüber. Man konnte es zwischen jedem Wort spüren. Er stellte sich das Bild vor und antwortete mit dieser Art von Leichtigkeit, die Jonas sofort bemerkte: Luis erzählte nicht, um zu beeindrucken. Er erzählte, um zu teilen.
Sie schrieben den ganzen Tag. Nicht pausenlos, nicht übertrieben, sondern in einem ruhigen Rhythmus, der sich anfühlte, als hätten sie schon seit Wochen so miteinander gesprochen. Jonas mochte, wie Luis Dinge sah. Wie er aus kleinen Beobachtungen Geschichten machte, die nicht laut waren, aber blieben. Luis mochte, wie Jonas keine Nachricht erzwingen wollte, wie er die Stille nicht füllte, sondern hielt. Sie waren anders. Aber ihre Unterschiede passten wie zwei Halbsätze, die aufeinander warteten.
Am dritten Tag schlug Luis ein Treffen vor. Nicht als großes Event, nicht als Date mit Agenda. Einfach nur: Markt am Maybachufer, Samstag, gegen elf. Jonas sagte zu. Und spürte, dass sein Herz ein wenig schneller schlug. Nicht hektisch. Nur wach.
Der Markt war dicht an Menschen, Gerüchen, Farben. Luis stand an einem Stand mit handgemachter Keramik und winkte Jonas zu, als hätte er ihn schon erwartet. Er trug einen hellgrauen Mantel, keine große Sache, aber er stand ihm gut. Seine Hände bewegten sich, wenn er sprach, nicht nervös, sondern lebendig. Und seine Augen hatten dieses Lachen, das nicht im Gesicht begann, sondern irgendwo tiefer.
Sie gingen nebeneinander her, ohne Berührung, aber auch ohne Abstand. Luis hielt immer mal wieder an, hob die Kamera und machte ein Bild. Von einer Kirsche, die auf dem Boden lag. Von einem Hund, der aussah, als würde er sich selbst zu ernst nehmen. Von Jonas, der gerade nicht hinsah. Jonas sagte nichts dazu. Aber er spürte, dass Luis ihn sah. Nicht oberflächlich. Nicht flüchtig.
Sie kauften Falafel, setzten sich ans Wasser und ließen die Welt um sich fließen. Jonas erzählte leise von seinem Beruf, wie er Formen dachte, lange bevor er Holz berührte. Luis hörte zu, als wäre Zuhören eine Kunst. Dann erzählte Luis von Fotografie. Nicht von Technik, sondern von Menschen. Wie manche sich vor der Kamera verstecken, und andere sich darin endlich zeigen. Jonas verstand das. Auf seine Weise.
Als sie sich verabschiedeten, umarmten sie sich. Es war nicht geplant. Es war einfach klar. Ein bisschen länger als nötig. Ein bisschen wärmer als höflich.
Beim zweiten Treffen spazierten sie. Stundenlang. Ohne Ziel. Sie bewegten sich durch die Stadt, als würde sie ihnen gehören. Luis zeigte Jonas ein kleines Café, das nur vier Tische hatte, und ein Fenster, das perfekt war, um Regen zu beobachten. Jonas zeigte Luis einen versteckten Innenhof mit wild wachsenden Pflanzen, die niemand angepflanzt hatte. Sie sprachen wenig. Und alles wurde gesagt.
Beim dritten Treffen kochte Jonas. Nicht, um zu beeindrucken. Sondern weil es seine Art war, Nähe auszudrücken. Luis saß auf der Arbeitsplatte, spielte mit einer Mandarine, die er langsam schälte, und sah Jonas zu. Zwischendurch stellte er Fragen, die mehr über ihn erzählten als über Jonas. Er wollte nicht wissen, woher Jonas kam. Er wollte wissen, was Jonas still machte. Wobei er lächelte. Woran er glaubte, wenn niemand hinsah. Jonas antwortete, so gut er konnte. Und Luis nickte dabei, nicht bestätigend, sondern verstehend.
Nach dem Essen setzten sie sich aufs Sofa. Luis lehnte seinen Kopf an Jonas’ Schulter. Jonas legte den Arm um ihn. Es war ganz einfach. Ganz weich. Als wäre es schon immer so gewesen.
Der Kuss kam erst beim vierten Treffen. Auf einer kleinen Queer-Party in einer Altbauwohnung, die nach Musik und Sommer roch. Menschen lachten, tanzten, redeten über Dinge, die wichtig waren und unwichtig zugleich. Ein Freund von Luis hielt eine kleine Flasche hoch und fragte lachend: „Jemand Lust auf Poppers? Macht die Nacht weicher!“ Luis schüttelte den Kopf, grinste und sagte: „Die Nacht ist weich genug heute.“ Und Jonas sah ihn an, und wusste, dass jetzt der richtige Moment war.
Sie gingen auf den Balkon. Die Luft war kühl, aber nicht kalt. Die Musik vibrierte sanft durch die Tür. Luis sah Jonas an, nicht fragend, sondern mit einer ruhigen Sicherheit, die Jonas warm machte. Und Jonas küsste ihn. Kein stürmischer Kuss. Kein dramatischer. Sondern ein Kuss, der sagte: Ich sehe dich. Ich bin hier. Lass uns langsam gehen.
Nach dem Kuss standen sie da und sagten eine Weile nichts. Sie sahen auf die Straße. Zwei Fahrräder fuhren vorbei. Eine Gruppe Menschen lachte unten. Die Stadt lebte, und sie atmeten gemeinsam.
Beim fünften Date blieben sie das erste Mal über Nacht zusammen.
Es war nicht geplant. Nicht abgesprochen. Es passierte einfach.
Sie waren bei Luis. Seine Wohnung war klein, warm, voll mit Dingen, die Geschichten erzählen wollten. Polaroids, Bücher, ein Stapel alter Postkarten. Die Bettwäsche war weich, ein wenig verwaschen, genau richtig. Sie lagen nebeneinander im Halbdunkel. Jonas spürte die Wärme von Luis’ Körper, hörte seinen Atem. Luis lag mit dem Kopf auf Jonas’ Brust, der Arm um seine Taille gelegt, ganz selbstverständlich. Nicht fragend. Nicht zögernd. Einfach nah.
Sie redeten leise. Über nichts und alles. Über Lieblingsjahreszeiten. Über Städte, die sie sehen wollten. Über die Art, wie man in einem fremden Hotelzimmer die erste Nacht nie richtig schläft. Luis streichelte entlang von Jonas’ Schulter, langsam, wie jemand, der lernt, ein neues Instrument zu spielen. Jonas legte seine Hand auf Luis’ Rücken, hielt ihn nicht fest, sondern einfach nur.
Es gab keine Eile. Keine Notwendigkeit, die Nacht zu benennen. Sie schliefen ein, ineinander geschmiegen, und es fühlte sich an, als hätte Schlaf endlich einen Ort gefunden.
Am Morgen wachten sie fast zur selben Minute auf. Draußen war es hell, aber gedämpft, als würde die Stadt einen sanfteren Ton wählen. Luis blinzelte Jonas an und lächelte ein kleines, noch verschlafenes Lächeln, das Jonas später einmal als den schönsten Moment des Jahres bezeichnen würde. Jonas sagte nichts. Er musste nicht.
Luis stand auf, zog eine Decke um sich und ging in die Küche Kaffee machen. Jonas sah ihm zu. Die Art, wie er sich bewegte, war wie Musik, nur ohne Klang. Jonas setzte sich zu ihm an den kleinen Holztisch. Sie tranken Kaffee. Ohne viele Worte. Und es war so leicht, dass es beinahe unwirklich war.
Von da an trafen sie sich immer wieder. Nicht mit der Absicht, etwas festzulegen. Aber jedes Treffen war eine Entscheidung füreinander. Sie gingen in Parks, saßen am Wasser, kochten gemeinsam, lagen nebeneinander auf dem Bett und lasen, ohne zu reden. Die Nähe wurde etwas, das nicht gesucht werden musste. Sie war da.
Und eines Abends, viele Wochen später, sagte Luis, während er mit dem Finger Kreise auf Jonas’ Handfläche zeichnete: „Ich glaube, ich verliebe mich in dich.“ Jonas lächelte, legte seine Stirn an Luis’ Stirn und antwortete leise: „Ich glaube, ich bin schon dabei.“
Kein Feuerwerk. Kein großes Versprechen.
Aber Liebe.
Die leise Art.
Die, die bleibt.
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